Geschichts-Lehrpfad 1146–1996

Inhaltlich interessante und aufschlussreiche Texttafeln geben in Form eines Geschichtslehrpfades Einblick in die historische Entwicklung von Grindelwald. Sie wurden zum Anlass des 850 Jahr-Jubiläums mit handwerklicher Sorgfalt hergestellt und entlang der Dorfstrasse aufgestellt. Die Tafeln sind heute im Heimatmuseum zu besichtigen.
Mit Start im 12. Jahrhundert bei der ersten urkundlichen Erwähnung von «grindelwalt» bis zur Gegenwart präsentieren sich die 9 Tafeln in Form einer Reise durch die Jahrhunderte. Die Vergangenheit wird in markanten Jahrhundertschritten lebendig und dokumentiert die gewaltige Entwicklung und Veränderung, die der Ort und die Talschaft Grindelwald in dieser Zeit durchgemacht haben.

Nachfolgend ist ein Auszug aus dieser Reise durch die Vergangenheit dargestellt.

1146

Mit diesem Jahr ist die älteste bekannte Urkunde datiert, in welcher der Ortsname Grindelwald zu finden ist (römisch = MCXLVI). «Ein Grundstück in Grindelwald, von der Schonegg bis zu Alpiglen und zum unteren Gletscher.»

1252 

Ita von Wädiswil, Freifrau zu Unspunnen, verkauft dem Kloster Interlaken um 500 Pfund ihre Eigengüter zu Grindelwald. Mit Challi, Bonerra, Lischina, Wergostalbach, rubeum Truncum (roter Stock), Scheidecca, ad montem Egere etc. ist exakt die Grenze der Bergschaft Wärgistal samt der zugehörigen Alp umschrieben. Gemäss dieser Urkunde ist der Eiger der erste Gipfel der Schweizer Hochalpen, der nachweisbar einen Namen trug.

1349 

Die Talleute lehnen sich gegen die Klosterherrschaft auf! In einem Schreiben vom 3. Januar 1349 verbünden sich die Landleute von Unterwalden mit der Gemeinde Grindelwald bzw. mit den ganzen Lütschinentälern zu gegenseitiger Hilfeleistung gegen das Kloster Interlaken. Der Aufstand wird jedoch durch die vom Kloster zu Hilfe gerufene Obrigkeit von Bern schon im Keime erstickt. Bei dem Aufeinandertreffen auf dem Bödeli wird das ebenfalls aufständische Wilderswil eingeäschert. Bereits am 28. Februar 1349 ergibt sich ein neues Schreiben: Die Talleute von Grindelwald müssen darin ihrem Bündnis mit Unterwalden abschwören und sich wieder der Herrschaft des Klosters und dessen Schutzmacht, der Stadt Bern, beugen.

1404

Propst Niklaus “ze dem gotzhus Inderlappen” stellt auf Bitten der Grindelwalder eine Ordnung auf über die Bergfahrt und das Weidrecht auf den Alpen. Aufgeführt werden hier Bach, Grindel, Holzmatten, Scheidegg, Wärgistal, Itramen und zu Gletscher (Bussalp kam erst später dazu). Diese Vereinbarung blieb über ein Jahrhundert, bis nach der Aufhebung des Klosters nach der Reformation, in Kraft.

1538 

Aus dem 16. Jahrhundert stammt der heute noch in den Grundsätzen verbindliche “Taleinungsbrief” der sieben Bergschaften. Die Alpordnung wird mit der Rechtsnachfolgerin des aufgehobenen Klosters, der Stadt Bern, erneuert und gefestigt. Der Taleinungsbrief wurde mehrmals, zum Beispiel 1805, 1883, 1923, den veränderten Zeitumständen angepasst und erneuert als Reglement über die Organisation der Alpen der Talschaft Grindelwald. Die wichtigsten Bestimmungen sind aber unverändert in Kraft und gelten auch weiterhin.

1642

Das überall einsetzende Interesse an der Natur rückt auch die Grindelwalder Bergwelt ins Blickfeld. Die gute Erreichbarkeit der in wilden Gegensätzen aufeinanderprallenden Hochgebirgs- und Kulturwelt ist wohl einer der Hauptgründe, dass Grindelwald zu so grosser Beachtung fand. Eine der ältesten Darstellungen des Unteren Grindelwaldgletschers stammt aus dem Jahr 1642. Sie wurde gezeichnet von Joseph Plepp und gestochen von Matthäus Merian (siehe Bild).

1751

Naturforscher und Kartographen machen Grindelwald mehr und mehr bekannt: Aus dem Jahr 1751 stammt der “Versuch einer historischen und physischen Beschreibung der helvetischen Eisberge” durch Joh. Georg Altmann am Beispiel des Grindelwaldtales.

1822

Im 19. Jahrhundert entwickelt sich Grindelwald vom Bergbauerndorf zum Fremdenort. Das erste Hotel, das “Hôtel de l’Aigle” (der “Schwarze Adler”) wurde 1818 durch Weibel Christian Bohren erbaut. Die erste Abbildung dieses Gasthauses (siehe Bild) stammt aus dem Jahr 1822. Heute steht an dieser Stelle das Hotel Sunstar. Die Zeiten ändern sich: der Gletscher wurde kleiner, das Hotel grösser…

1996

Heute, am Ende des 20. Jahrhunderts, lebt Grindelwald effektiv vom Tourismus. Werden doch erwiesenermassen über 90 Prozent des Einkommens der Bevölkerung direkt oder indirekt aus dem Tourismus erwirtschaftet. Erhalten geblieben ist aber gleichwohl die Landwirtschaft. Sie ist Garant für die nachhaltige Nutzung und Pflege der Landschaft, einem unbestritten wertvollen Kapital, über das Grindelwald verfügt.


Ein Gang durch die Zeit (von Rudolf Rubi)

Rudolf Rubi, sel. Lehrer und Lokalhistoriker

Das dokumentarisch bezeugte Grindelwald gibt es nun also über 850 Jahre. Für uns ist diese Zeitspanne kaum erfassbar. Versuchen wir sie zu raffen, indem wir jedem Jahrhundert die Sprintstrecke von hundert Metern zumessen und schicken wir einen sportlichen Wanderer auf den 850 Meter langen Weg. Er soll ihn entsprechend dem Charakter der Jahrhunderte, wie sie für Grindelwald bestimmend waren, zurücklegen. Wie hat er sich fortzubewegen?

Die ersten fünfhundert Meter wandert er im Tempo des beschaulichen Fussgängers. Dann folgen zwei- bis dreihundert Meter allmählicher Steigerung, er muss zu einem forschen Schritt oder leichten Laufschritt ansetzen und schliesslich folgt die letzte Hundertmeter-Sprintstrecke, die seine ganze Schnelligkeit herausfordert. Grindelwald hat demnach drei Zeitepochen durchgemacht, die sich relativ deutlich abgrenzen lassen:

  1. Fünf Jahrhunderte der Erhaltung und Bewahrung des ursprünglichen, naturgegebenen Zustandes unter der Herrschaft von Adeligen, des Klosters Interlaken und der Gnädigen Herren von Bern, die sich ablösten. Im Tal veränderte sich wenig oder nichts.
  2. Zweieinhalb Jahrhunderte des Aufbruchs in eine andere Zeit, bewirkt durch die Naturwissenschaft, welche das Tal als Fundgrube für Forschung, Gletscher- und Bergabenteuer entdeckte. Die Einheimischen fanden neue Lebensmöglichkeiten.
  3. Ein Jahrhundert des radikalen Umbruchs wegen der rasanten Entwicklung der Verkehrsmittel und der ausufernden Mobilität von Menschenmassen. Die Lebensgrundlagen der einheimischen Bevölkerung veränderten sich vollkommen. 

Wie geht es weiter? Grindelwalds Grundkapital ist und bleibt die einzigartige natürliche Umwelt, die ein Füllhorn von Möglichkeiten zu beschaulichen, erholsamen, anforderungsreichen und gar abenteuerlichen Tätigkeiten bietet. Hier sind wir an eine Grenze gelangt. Die Linie zu finden, die nicht überschritten werden sollte, ist die entscheidende Aufgabe unserer und der nächsten Generation. Die Devise “In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister” müsste wohl der Leitfaden für das letzte Viertel des vollen Grindelwalder Jahrtausends sein.