Winterlicher Engländerboom – vor dem 1. Weltkrieg
< Im Herbst 1905 erhielt Grindelwald ein neues Post- und Telegrafengebäude gegenüber dem Bahnhof.
Es wurde von der Berner Oberland Bahn gebaut und 1921 an die PTT verkauft.
Über Silvester hatte ein heftiger Föhnsturm getobt, dann setzte aber Schneefall ein, und 1905 begann strahlend schön. Die Zeit der Maskenbälle auf den Eisflächen der Hotels konnte beginnen. Auf der grossen Bär-Eisbahn wurde der Anlass jeweils ehrwürdig mit «God save the king» eröffnet. Die Engländer gaben im «Grand Hotel Bear» den Ton an. Man rühmte «die Pracht der Toiletten und die brilliante Beleuchtung durch die vielfarbigen Lampions». Die Hoteliers erfreuten sich vor allem an einer Nachricht aus Bern: Über 300 englische Touristen seien noch unterwegs ins Oberland, in der Hauptsache nach Grindelwald. Mitte Januar zählte man dann rund 1400 Gäste!
Skipäpste zu Besuch
Von einheimischen Skifahrern wurde schon vor hundert Jahren vereinzelt Skiunterricht erteilt. Es war, wie sie sagten, «absolut stilreine Norwegerschule». Man empfing die bekannten norwegischen Skifahrer Leif Berg und Thorleif Björnstad 1905 mit Respekt, denn sie waren fast so etwas wie die Skipäpste jener Zeit. Skiclub-Präsident Jakob Abplanalp hatte sie für «sechs Tage dauernde Übungen im Interesse des schönen Skisports» angestellt. Der berühmteste aller Skilehrer und das Aushängeschild Grindelwalds war aber der «mehrfache Skikönig Fritz Steuri». Im Sommer arbeitete der Skiclub wochenlang für den Umzug am Unspunnenfest. Man stellte auf einem Fahrzeug den Wintersport dar. Hotelier Haussener vom «Wetterhorn» kreuzte mit einem 57 Zentner schweren Eisblock vom Oberen Gletscher auf, und Pintenfritz Bohren machte mit einer Gruppe «zu Ehren des Hotels Faulhorn» Werbung für sein hoch gelegenes Berghaus. Auch Dorfpfarrer Gottfried Strasser trat im Umzug auf. Als Leiter eines Bergführerkurses in Kandersteg marschierte er in einer Seilschaft von Bergführeraspiranten. Er war 1905 bei der Gründung des Kur- und Verkehrsvereins, der Alpinen Rettungsstation Grindelwald sowie des Turnvereins dabei, und schrieb wie üblich zur Eröffnung des Restaurants in der Station Eismeer seine Gedichte. Ohne ihn ging in Grindelwald nichts.
Schneewalze vor der neuen Post Grindelwald vor 100 Jahren.
Hochwasser und Wunder im Lütschental
«Das Lütschental ist stets schwer bedroht: Auf der Schattenseite durch Lawinen und auf der Sonnseite durch Wasserverheerungen», schrieb man schon vor hundert Jahren im «Echo». Was war 1905 geschehen? Es hatte viel geschneit. Da löste sich in der Nacht vom Samstag, 18. zum 19. März auf der Männlichenseite eine Lawine. Sie demolierte darauf das Wohnhaus des Johann von Allmen, eines in Grindelwald wohl bekannten Bergführers. Viel zu reden gab weit herum die wunderbare Rettung der Hausbewohner. Von Allmen ahnte das Herannahen der Lawine, weil beim Brunnen plötzlich das fliessende Wasser ausblieb. Er konnte sich mit Frau und Kindern gerade noch an eine hintere Wand stellen, und schon riss die Lawine das Haus über ihren Köpfen weg. Alle überlebten! Für das Gebäude war es schon die zweite Naturkatastrophe. Es stand einst unten im Talboden und wurde dort 1831 bei einem Hochwasser unterspült und fast weggeschwemmt. Der damalige Besitzer Weissmüller entschloss sich darauf, es höher hinauf, in der Rüti, zu bauen, sicher vor Überschwemmungen. Nun hatte es aber eine Lawine endgültig zerstört. Das Mitleid mit Bergführer von Allmen und seiner Familie war gross, und in Grindelwald wurde eifrig gesammelt, um ihnen zu helfen. Es gab noch keine Versicherungen!
Wo er nicht nur unterrichtete, sondern auch erzog…
Die Lehrerschaft blieb ihren Schulen treu: So feierte 1905 Johann Roth, genannt «Bodmi-Hans», 30 Jahre Schuldienst. Er hielt zuletzt am Endweg Schule, wo er «nicht nur unterrichtete, sondern auch erzog», wie in der Zeitung betont wurde. Lehrer Johann Wagner hinter Itramen feierte sogar 40 Jahre Amtsjubiläum. Er kam 1865 als noch nicht einmal Zwanzigjähriger aus dem Oberaargau an die dortige Gesamtschule und nahm sich vor, es bei den Itramern zwei Jahre auszuhalten. Nun war Lehrer Wagner nach 40 Jahren immer noch dort und kämpfte mit seinen Itramern für eine Itramenstrasse. Im benachbarten Lütschental war der weit herum bekannte Lehrer Peter Anneler gestorben, «Vater und Ratgeber der Gemeinde». Er hielt es sogar 56 Jahre lang an seiner Schule aus und war zudem noch 36 Jahre lang Gemeindeschreiber!
An Teutschmann kam in Grindelwald niemand vorbei
Früher oder später hatte man es mit ihm zu tun: Teutschmann war Totengräber und waltete 40 Jahre lang seines Amtes. Er schaufelte in dieser Zeit, wie berichtet wurde, gegen 3000 Verstorbenen das Grab. Aber 1905 wurde er nun selber begraben. Schon Vater und Grossvater Teutschmann amtierten als Totengräber. Sie wirkten nacheinander 110 Jahre lang und betteten im Grindelwalder Friedhof 2834 Personen zur ewigen Ruhe. Die Zahlen widerspiegeln das Bevölkerungswachstum. Welches waren bei den Taufen vor hundert Jahren die beliebtesten Namen? Es wimmelte von Knaben mit dem Namen Gottfried, wie das Geburtsregister von 1905 zeigt. Beliebt waren aber auch Hans, Fritz und Christen. Sie trafen bei den Mädchen am ehesten auf eine Margaritha, Anna oder Bertha.
Die elegante Parkanlage vor dem «Grandhotel Eiger», 1905 eröffnet.
Vor dem «Grand Hotel Bear»: Eisskulptur- und Schnitzlerkünstler Jakob Abplanalp erhielt an der Weltausstellung 1905 eine Goldmedaille.
Eleganz auf der Dorfstrasse und im Eigerpark
1905 war der Eigergarten eröffnet worden. Mit ihm besass Grindelwald nun vor dem Grandhotel «Eiger» eine grosszügige Parkanlage mit Bassin und Springbrunnen. Eigerbesitzer Samuel Baumann hatte den Park einrichten lassen und kaufte dazu gleich noch eine «Lambrecht’sche Wettersäule» aus Göttingen, eine viel beachtete Wetterstation. Heute befindet sie sich gegenüber dem Grand Bazar Brunner und leistet immer noch ihren Dienst. Eine ganze Völkerwanderung von elegant gekleideten Gästen promeniere jeweils an schönen Sommerabenden auf der Dorfstrasse und im Eigerpark und erfreue sich an den Klängen der Kurkapelle, rühmt Blettlidrucker Jakober in seinem «Echo». Hie und da fahre ein herrschaftlicher Landauer vorbei, im Schritt, wie es in Grindelwald vorgeschrieben sei.
Alkohol statt Verletzungen
Das Schritttempo auf der Dorfstrasse interessierte den Chauffeur eines Gastes im Grandhotel Bär allerdings nicht: Der junge Fahrer fuhr in «rasendem Tempo», wie Augenzeugen berichteten, dorfein und dorfauswärts und lud zum Schrecken der Einheimischen jeweils junge Dorfschönheiten zur Mitfahrt ein. Er sass zum Glück allein in seinem Gefährt, als er die Steigung zum Pfarrhaus beim Haus Schlegel «im Graben» nicht erwischte und sich das teure Fahrzeug den Hang hinunter mehrmals überschlug. Der Chauffeur selber landete zuerst in einem Kartoffelacker, dann in der Praxis von Dorfarzt Dr. Scherz und schlussendlich, nachdem dieser keine Verletzung, jedoch Alkohol festgestellt hatte, in den Händen von Dorfpolizist Hofer. Der Polizist hatte vor der Praxis auf den Unhold geduldig gewartet, und die schadenfreudigen Kutscher im Dorf konnten nun auf den Tisch klopfen und sagen: «Bravo, geschieht ihm recht!» An der Gemeindeversammlung wurde darauf ein totales Autoverbot für ganz Grindelwald verlangt.
Kabeltransport mit zwölf Pferden am 20. Dezember 1905 für den Wetterhornaufzug.
Technik am Wetterhorn
Das «technische Wunderwerk» Wetterhornaufzug war im Bau, verlor aber seinen Begründer: Der deutsche Ingenieur W. Feldmann war gestorben. Trotzdem trafen in Grindelwald die Drahtseile ein. Der letzte Kabeltransport, auf Schlitten, erreichte am 20. Dezember die Talstation beim Oberen Gletscher. Die schwere Fuhr wurde durch zwölf Pferde der Fuhrleute Fritz Roth und Ulrich Schild gezogen. Dabei kam auch der Humor nicht zu kurz: Vor allem das Firmenschild «Rothschild & Co.» erheiterte die vielen Zuschauer beim vermeintlichen Weintransport. Es gebe in Grindelwald noch keinen einzigen Heu- und Erntewagen, stellte Emanuel Friedli 1905 fest. Er wohnte hinter Mühlebach und war daran, ein Grindelwaldbuch zu schreiben. Bis 1700 «Burdeni Hew» werden von jungen Bauernsöhnen im Laufe eines Sommers auf dem Rücken eingetragen, verwunderte er sich.
Nein, keine Bäume, sondern Bauern beim Heutransport. Bis 1700 «Burdeni Hew» wurden von einzelnen Bauern in einem Sommer eingetragen, wird 1905 berichtet.
Früher Winter
Der Winter 1905/06 zog schon am 2. Oktober ins Tal und beschädigte Bäume in den Hotelanlagen. Hinter Mühlebach mussten die Bauern die Kartoffeln «einen Schuh unter dem Schnee hervorscharren» und das vielerorts noch herumliegende Emd war nur noch als Streue verwendbar. Zum Glück sei die Heuernte im Sommer 1905 sehr reichlich ausgefallen, hielt man dankbar fest. Kaum zu glauben: Schon am 11. Oktober begann dann mit sehr günstigen Schneeverhältnissen und den ersten Skifahrern im Grand Hotel «Bär» die Wintersaison, und die Leute des Skiklubs machten sich auf zur ersten Skitour. Skiabfahrten mussten zu Fuss verdient werden. Vor hundert Jahren gab es noch weit und breit keine Bahn für Skifahrer, nicht zu reden von präparierten Pisten.
Quellen: «Echo» von Grindelwald, 1905; Sammlung Thomas Stettler; Staatsarchiv Bern: Blatterkartei; «Im Tal von Grindelwald», Bücherreihe zur Ortsgeschichte; Friedli, Emanuel: «Grindelwald», 1908; mündliche Überlieferungen Peter Bernet